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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29

Automated Translation

Magazin für Literatur 1898, Volume 67, 21

84. “Madonna Dianora”

A scene by Hugo von Hofmannsthal
Performance by the Freie Bühne, Berlin

The wise Pythagoras believed that the planets in celestial space produce a wonderful harmony through their movements, which one does not hear because one is accustomed to it. Imagine the ear suddenly opened to this music! How different the world would seem to us! What would happen in our soul if the sound of the planets had an effect on it! Such thoughts come to mind when confronted with Hugo von Hofmannsthal's art. He allows harmonies to emerge from things that surprise us, as if the planets were suddenly sounding together. He seems to me to be gifted with an infinitely delicate soul, with finely organized senses; and what he tells us about the world mostly escapes us because habit prevents us from hearing it. Hofmannsthal pays no attention to the coarser aspects of the world; the finer things are therefore revealed to his mind. He allows the prominent features in the phenomena that occupy people in ordinary life to recede; but he brings out the secret beauty that otherwise recedes. There is an infinitely endearing arbitrariness in his view of the world. In the "scene" referred to here, there is little of the rough, sharp lines with which playwrights usually depict life. Madonna Dianora awaits her lover; the man kills her because of her infidelity. This plot is poor and pale. But beneath the surface, as it were, it harbors a wealth of beauty. Hofmannsthal cuts away the surface and reveals the finest branches of inner beauty. His way of looking at things is like listening to a speaker and not listening to the meaning of the speech, not listening to the content of the words, but only to the sound of the voice and the music that lies in his language. It is understandable that this kind of performance cannot be perfectly realized with the means of our stagecraft. Despite the effort Louise Dumont put into the role of the Madonna Dianora, the Freie Bühne performance was therefore not very satisfying.

«MADONNA DIANORA»

Eine Szene von Hugo von Hofmannsthal
Aufführung der Freien Bühne, Berlin

Daß die Planeten im Himmelsraume durch ihre Bewegungen eine wunderbare Harmonie erklingen lassen, die man nicht hört, weil man an sie gewöhnt ist, glaubte der weise Pythagoras. Man denke sich das Ohr plötzlich erschlossen dieser Musik! Wie würde uns die Welt anders erscheinen! Was würde in unserer Seele vorgehen, wenn der Klang der Planeten auf sie wirkte! Zu solchen Gedanken kommt man, wenn man der Kunst Hugo von Hofmannsthals gegenübersteht. Er läßt aus den Dingen Harmonien herausertönen, die uns überraschen, wie wenn plötzlich die Planeten zusammenklingen würden. Mit einer unendlich zarten Seele, mit fein organisierten Sinnen scheint er mir begabt; und was er uns von der Welt erzählt, entgeht uns zumeist, weil die Gewohnheit es uns nicht vernehmen läßt. Die gröberen Verhältnisse der Welt achtet Hofmannsthal nicht; die feineren Dinge werden deshalb seinem Geiste offenbar. Die hervorstechenden Züge in den Erscheinungen, die den Menschen im gewöhnlichen Leben beschäftigen, läßt er zurücktreten; die geheime Schönheit aber, die sonst zurücktritt, arbeitet er heraus. Eine unendlich liebenswürdige Willkür liegt in seiner Weltbetrachtung. In der «Szene», von der hier die Rede ist, findet man wenig von groben, scharfen Linien, mit denen sonst die Dramatiker das Leben schildern. Madonna Dianora erwartet ihren Geliebten; der Mann tötet sie wegen ihrer Untreue. Arm und blaß ist diese Handlung. Doch, unter der Oberfläche gleichsam, birgt sie eine Fülle von Schönheiten. Die Oberfläche schneidet Hofmannsthal weg und zeigt das feinste Geäste innerer Schönheit. Seine Weise, die Dinge anzusehen, ist, wie wenn man einem Redner zuhören wollte und nicht auf den Sinn der Rede, nicht auf den Inhalt der Worte hörte, sondern nur auf den Klang der Stimme und auf die Musik, die in seiner Sprache liegt. Daß solche Art mit den Mitteln unserer Bühnenkunst nicht vollkommen zur Darstellung gebracht werden kann, ist verständlich. Die Aufführung der Freien Bühne war deshalb, trotz der Mühe, die sich Louise Dumont mit der Rolle der Madonna Dianora gegeben hat, wenig befriedigend.